Der Kaffeemaler

IMG_5277In Thailand hat Marcel Wagner eine neue Heimat gefunden. Nun möchte er sich als Kaffee-Maler etablieren. Nur: Farben hat er noch nie gekauft.

 

 

Schweiz am Sonntag / 3-8-2014  SMDMediaLink[1].pdfKaffeemaler

Er versuchte sich als Kapuzinermönch, studierte Kunsttherapie, führte kriminelle Jugendliche zurück in die Gesellschaft und gründete in Lenzburg ein Lokal für Heavy-Metal-Liebhaber. Heute wohnt Marcel Sinlah Wagner in Thailand, als freischaffender Künstler.

Der 50-jährige Uerkheimer malt mit Genussmitteln: Kaffee, Bier, Rotwein. Das seien ständige Begleiter, sagt er. Vor allem Kaffee. Sein Lebenselixier. Dass Wagner nicht herkömmliche Farben verwendet, hat einen tieferen Grund: Die Genussmittel verbinde er mit schönen Momenten – Kaffee mit Pausen, Bier mit dem Feierabend und Rotwein mit philosophischen Gesprächen.

Mit Wodka geht es nicht

Seine Farben produziert er selber. Das Verfahren ist einfach: Kaffee, Bier, Rotwein oder Whisky in einer Pfanne verdampfen lassen, bis eine Masse zurückbleibt. Mit Wodka beispielsweise funktioniere es nicht, da fehlten die Pigmente. Für Farben habe er noch nie ein Künstlergeschäft aufgesucht. Lieber nutzt Wagner seine Umgebung: Neben den Getränken extrahiert er Pigmente aus Karotten und Randen, aus Mineralien und Erde, und als Bindemittel nimmt er Eiweiss. Solche Farben, sogenannte Ei-Tempera, wurden bereits für die florentinischen Fresken verwendet. So gesehen ist Wagner ein Maler alter Schule. Im 18. Jahrhundert waren Kaffee, Rotwein und Sepia gängige Malmittel. Im Zuge der Industrialisierung wurden diese mehr und mehr verpönt, galten als Farben für arme Künstler.

IMG_5277aIst auch er ein armer Künstler? Nicht ganz. Aber deshalb wohne er ja in Thailand. Mit den tiefen Lebenskosten könne er dort gut leben. Der Uerkheimer hat sich in Koh Samui ein Haus mit Atelier gemietet. Zum Strand sind es vier Minuten. Morgens steht er früh auf, geht schwimmen, bevor die Touristen kommen. Danach malen. Sechs bis acht Stunden. Wenn es nicht läuft, setzt er einen Tag aus. Das sei die Freiheit eines Künstlers.

An Thailand fasziniert ihn das Exotische: Sonne, Palmen, Meer. Allein: Mit der Zeit sei es auch eintönig, die Abwechslung fehle. Deshalb freut er sich jedes Jahr auf die Schweiz. Für Aufträge und Vernissagen kommt er zurück und organisiert seine Anlässe in Europa. In Italien und Österreich durfte er bereits ausstellen.

Er könnte ein Rocker sein

Nächtigen kann er bei Freunden in der Region. In Vordemwald malt er gerne in der Gartenlaube von Samuel Peyer; ein befreundeter Künstler. Während dieser aus Altmetall eine Skulptur zusammenschweisst, sitzt Wagner am Tisch im Garten. Gross, breit gebaut, lange Haare und Bart. Ebenso gut könnte er ein Rocker sein. Über seinen gesamten rechten Arm zieht sich eine Tätowierung – freilich selbst entworfen. Sie symbolisiert Wagners Werdegang, Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod. Im Hintergrund plätschert ein Bach, verstreut im Garten stehen Peyers Skulpturen. Wagner taucht den Pinsel in eine Tasse mit eingedicktem Kaffee, danach in ein Glas mit Wasser. Damit variiert er die Farbintensität seiner monochromen Bilder. Bedächtig streift er den Pinsel übers Papier, zieht filigrane Striche. Es entsteht die Helvetia – ein Auftrag für ein Zürcher Restaurant. Dafür brauche er keine Vorlage, sagt er. Die Vorstellung, wie eine Helvetia aussehen müsse, habe er im Kopf. Zu seinem Repertoire gehören vorwiegend Menschen- und Tierporträts. Aber auch abstrakte Bilder.

Trotz alter Technik: Marcel Sinlah Wagner ist nicht etwa rückwärtsgewandt. Vielmehr sei er ein Suchender, einer, der viel ausprobiere. Deshalb auch sein hinduistischer Zwischenname – der Sinnfindende. Als 17-jähriger Kanti schüler wollte er wissen, was die Kapuziner genau machen. Für eine Woche lebte er im Kloster. Eine gute Erfahrung, aber kein Weg, den er hätte einschlagen wollen. Seit 2010 lebt Wagner als Künstler.

Vorher leitete er während zehn Jahren das Jugendheim Life-Art in Lenzburg. Dieses Projekt stellte er eigenhändig auf die Beine. Von Beginn an wollte er es auf zehn Jahre begrenzen. Der Job beanspruchte ihn rund um die Uhr. Zeitweise hatte er bis zu zwölf Angestellte. Nichts, was man auf Dauer durchziehen könne. Allerdings habe er sich gesagt: «Wenn schon arbeiten, dann etwas Sinnvolles.» Nun will er sich voll und ganz der Kunst widmen, seine Karriere vorantreiben. Von Ende September an präsentiert er in Dietikon 100 Bilder.