Die historischen Aargauer Bahnwagen fahren wieder auf die Furka hinauf

furkabahn-006Nicht nur für Bahnfreaks spektakulär: Die Dampfbahn-Strecke zwischen Oberwald VS und Realp UR. Mit Aargauer Eisenbahnfans auf der Eröffnungsfahrt hoch in den Schnee. Und: Wie Freaks die Furka-Loks aus Vietnam zurückholten.

Aargauer Zeitung / 22-06-2015 zum Printartikel, zum Video

Text: Bastian Heiniger, Fotos: Pascal Gertschen

Sie zischt, schnaubt und brummt, als könnte sie nicht mehr länger stillstehen. Aus ihrem Bauch dampft grauer Rauch. Der Wind zerzaust ihn in alle Richtungen. Passagiere klappen die Regenschirme ein, huschen in die Wagen. Wädi, so möchte er genannt werden, klettert in den Führerstand. Seit über zehn Jahren fährt er die Dampfloks der Furkabahn. Später wird er sagen, alle seien ein wenig nervös, auf der ersten Fahrt der Saison. Ist genug Kohle da, gelingen die heiklen Stellen, werden die Passagiere zufrieden sein?

Die Plätze sind ausgebucht, gut hundert Eisenbahnfans dürfen mitfahren. Auch die Aargauer Sektion des Vereins Furka-Bergstrecke organisierte eine Carreise nach Oberwald. Viele der Angereisten tragen das Logo der Furka-Dampfbahn auf ihren Mützen, Pullovern und Fleece-Jacken. Es sei jedes Mal ein Erlebnis, sagt eine Passagierin, die schon drei Eröffnungsfahrten miterlebte. Doch werden sie heute enttäuscht? Regen peitscht gegen die Fenster, die tief hängenden Wolken scheinen wie festgeklebt zwischen den Berggipfeln.

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Zweihundert Meter oberhalb des Bahnhofs bringen sich Fotografen in Stellung. Die Lok versinkt nun in einer Rauchschwade. Dann ein Hupen, das den gesamten Talkessel erfüllt und noch Sekunden nachhallt. Keuchend bringt sich die 40 Tonnen schwere Lok NR. 9 in Fahrt, kämpft sich langsam voran mit ihren drei Wagen. Schwarz und golden glänzt sie im Regen. Wädi scheint alles im Griff zu haben, kurz blickt er aus dem Führerstand — und fährt weiter in Richtung Furka, hoch auf 2100 Meter.

Sie braucht mehr Kohle als sonst

Im Windschatten des Bahnhofs Gletsch, auf über 1700 Metern, warten weitere Passagiere. Nun ist der Zug voll. Kessel voller Kohle werden zur Lok gebracht. Heute braucht sie mehr als sonst — 800 Kilogramm Kohle, normal wären es 700. «Die Räder schleudern», sagt Wädi. Die Schienen seien zu nass und teilweise liege Reif darauf. Steil geht es nun hinauf. Unentwegt schaufelt der Heizer Kohle in den Ofen. Schwarze Hände, schwarze Kleider. Im Führerstand holpert und schüttelt es. Rechts steht Wädi, links der Heizer. Dampf schlägt ihnen zuweilen ins Gesicht, und immer wenn Wädi kurz den Ofen öffnet und die Flammen herausspeien, schiebt der Heizer eine Schaufelladung nach. Schweiss tropft beiden herunter, Worte wechseln sie kaum. Der Regen lässt nach und die Sonne bricht nun fast durch die Wolken, unten zieht die Rhone vorbei, am Berg türmen sich Schneemauern.

Wie die meisten Mitarbeiter der Furka-Dampfbahn arbeiten beide unentgeltlich. Wädi ist bereits pensioniert und Hugo Zandegiacomo, der Heizer, arbeitet sonst bei der Polizei im Kanton Schwyz. Kohlen zu schaufeln, sei zwar anstrengend, sagt er, aber erfüllend. «Ein Job, den es ja eigentlich gar nicht mehr gibt.»

Die Wagen kommen aus Aarau

Freiwillig arbeiten für die Furka-Dampfbahn auch Woche für Woche bis zu 65 Personen der Sektion Aargau, seit 21 Jahren. In Aarau wurden sämtliche Wagen restauriert. Und in zwei Wochen wollen sie den neusten zum Depot nach Realp bringen: Derzeit arbeitet der Verein an einem Wagen, der nächstes Jahr in Betrieb kommen soll. Doch was treibt die Bahnfans dazu an? Kurt Baumann, der Präsident, erklärt es so: Sie seien eine eingeschworene Truppe. «Es ist wie bei den Modellbauern, nur können wir nachher selber mitfahren.» Doch die Vereinsmitglieder betätigen sich nicht nur am Wagenbau. Jährlich verbringen sie eine Woche in Realp, und helfen, die Bahnstrecke in Schuss zu halten: Gleise reparieren, Abschnitte erneuern, Gebüsch zurückschneiden, oder vor Saisonbeginn die Steffenbachbrücke wieder aufrichten — im Winter wird diese wegen der Lawinen zugeklappt.

Foto: Pascal Gertschen

Kurz vor der Station Furka wird es dunkel im Wagen. Ein Mann mit Laterne betritt das Abteil. Er erklärt, dass der Tunnel bald saniert werden müsse. Der Berg drücke ihn mehr und mehr zusammen. Er meint auch, dass nun die Fenster geschlossen bleiben sollen. Obwohl, etwas Kohlendampf sei ja gesund, sagt er. «Das putzt richtig durch.» Auf 2100 Metern verhindern aufziehende Nebelschwaden die Aussicht. Sehenswert bleibt die Weiterfahrt nach Realp dennoch. Alpenrosen blühen und Murmeltiere kommen aus ihren Verstecken.

Foto: Pascal Gertschen

Zahlen zur Furkabahn:

18 Kilometer beträgt die Strecke zwischen Oberwald und Realp. Die Fahrt dauert etwas mehr als zwei Stunden.

30 Kilometer pro Stunde beträgt die Höchstgeschwindigkeit der Furka-Dampfbahn.

3 Monate ist die Bahn in Betrieb. Vom 20. Juni bis zum 27. September. Für eine Fahrt ist die Platzreservierung notwendig.

So holten Furkabähnler ihre Loks
zurück aus Vietnam:

Die Furka-Dampfloks umweht eine Geschichte von Kriegen, Diplomatie und einer abenteuerlichen Rückführungsaktion aus der vietnamesischen Hochebene. Es ist eine Geschichte von Bahnverrückten, die partout ihre originalen Dampfloks auf die Furka-Bergstrecken zurückbringen wollten.

«Es war verrückt – aber Gott sei Dank war ich dabei.»

1990 machte sich eine zwölfköpfige Truppe der Dampfbahn Furka-Bergstrecke (DFB) auf nach Vietnam . Für den heute 60-jährigen Manfred Willi aus Goldau war die Aktion «Back to Switzerland» vor 25 Jahren eine prägende Erfahrung: «Es war wohl verrückt – aber Gott sei Dank war ich dabei», sagt er. Die Reise führte sie nach Da Lat, einer Stadt am Rand des zentralvietnamesischen Hochlands, 1500 Meter über Meer.

Wegen des angenehmen Klimas war die Stadt früher ein beliebter Kurort für französische Kolonialherren. Zwischen 1913 und 1932 bauten diese eine 84 Kilometer lange Bahnstrecke, von der Küste nach Da Lat. Auf Vermittlung durch Frankreich wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vier Dampfloks der damaligen Furka-Oberalp-Bahn nach Vietnam gebracht — in der Schweiz hatte indessen die Elektrisierung den Dampfantrieb abgelöst. Bis gegen Ende des Vietnamkrieges blieben die Loks in Betrieb, doch Anschläge der Amerikaner führten zur Stilllegung. Aber: «Ein Eisenbahnfreak weiss fast von jeder Dampflok, wo sie hingekommen ist», sagt Willi. Und so beauftragten die Furkabähnler 1988 einen Schweizer Erdbebenforscher, der in das Gebiet reiste, er solle sich nach den Loks erkundigen.

Auf gefährlichen Strassen

Tatsächlich wurde er fündig. Zwei Jahre dauerten dann die Verhandlungen. Mithilfe des Schweizer Botschafters einigten sie sich mit Vietnam über den Rückkauf der Loks. Im August 1990 erreichten 36 Tonnen technische Ausrüstung den Hafen von Saigon; Willi fungierte dabei als Logistiker. Auf Lastwagen brachten sie Lok für Lok über schwierige, verregnete Strassen und schwache Brücken in Richtung Küste. Nach einer Woche erteilte die Vietnamesische Strassenbehörde plötzlich ein Tranportverbot. Nervenaufreibende Meetings folgten, doch nachts konnte das Team unbeobachtet weitermachen. Am Schluss kamen sie mit einer Geldbusse davon. «Der Transport brauchte viel Mut und Entschlossenheit», sagt Willi. Einen Monat später konnten sie an der Küste die Loks auf Gleise versetzen und während einer 36-stündigen Langsamfahrt nach Saigon bringen. Dort wurden sie aufs Schiff verfrachtet und nach Hamburg geliefert. Auf dem Schienenweg gelangten sie letztlich in die Schweiz.

«Wir wurden damals als Spinner angesehen», sagt Willi, der heute als einer der wenigen Festangestellten für die Furka-Dampfbahn arbeitet. Doch die Aktion habe damals ihrem Gesamtprojekt, die Dampfbahn wieder zu betreiben, Glaubwürdigkeit verliehen.