«Die Schweiz kann von Italien lernen»

OVSErst hat er Charles Vögele übernommen, dann 240 Jobs abgebaut. Dennoch sieht sich OVS-Chef Stefano Beraldo als Retter. Im Flagshipstore in Mailand (I) erklärt er seine Pläne für die Schweiz. Und wieso er in den Läden viele neue Stellen schaffen will.

19-07-2017 erschienen im Blick

Sein Plan scheint verrückt: Stefano Beraldo (60) will den Schweizer Modemarkt erobern. Mit 147 Filialen, die er vergangenen Herbst von der schlingernden Modekette Charles Vögele übernommen hat. Und ab Juli zu OVS umbauen wird.

In Italien ist Beraldo ein Star der Branche. Innert zwölf Jahren katapultierte er dort die Modekette OVS mit über 900 Filialen zum Marktführer – vor globalen Giganten wie Zara und H&M.

BLICK trifft Beraldo vor dem Flagshipstore in Mailand (I): Mit breiten Schritten betritt er den Laden, posiert kurz fürs Foto, spricht dabei mit der Filialmanagerin. Er sei umgänglich, aber ein sehr mächtiger Mann, sagt sie später zu BLICK. Im Showroom nimmt er sich Zeit für die Fragen.

Herr Beraldo, haben Sie schon Deutsch gelernt?

Stefano Beraldo: Nein, ich bin zu alt, um jetzt noch Deutsch zu lernen.

Wieso tun Sie sich Vögele an und kommen mit OVS in die Schweiz?

Wir können mit einem hohen Marktanteil starten. Dank der Nähe zu Italien ist für uns die Logistik einfach. Vor allem aber ist die Schweiz ein attraktiver Markt, der im Fashion-Bereich nicht so stark umkämpft ist.

Wie wollen Sie den Vögele-Muff endgültig entsorgen und das Modehaus in ein florierendes umbauen?

Wenn man heute in den Flagshipstore von Vögele in Zürich geht, ist es fast wie in einer Kirche. Ziemlich dunkel, keine Musik, nicht mehr zeitgemäss. Trotz guter Standorte verlor Charles Vögele jährlich an Marktanteil. Im neuen OVS-Laden wird man ein total anderes Einkaufserlebnis haben.

In OVS-Läden gibt es Musik, trendige Kleider, digitale Tools. Der typische Charles-Vögele-Kunde wird das nicht ansprechen.

Die werden uns nicht zu 100 Prozent mögen. So war es auch in Italien, als ich vor zwölf Jahren Oviesse übernommen und zur heutigen OVS umgebaut habe. Oviesse zielte auf ein älteres, konservatives Publikum ab – ähnlich wie Charles Vögele.

In Italien hat Beraldos Konzept Erfolg: schnittige Kleider für die ganze Familie. 2016 steigerte er den Umsatz um 3,3 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro – trotz Wirtschaftskrise. Beraldo glaubt, trotz Onlinehandel stationär wachsen zu können.

Auf die Frage, wie er denn künftig noch Kunden in die Läden locken will, reagiert er verschnupft. Er weiss: Die Kunden kommen. Auch in der Schweiz. Das zeigten die fünf Pilotfilialen, die OVS seit März in der Schweiz testet. Und doch: Heutzutage fast 150 Filialen zu eröffnen, das ist ein verrückter Plan. Wenn Zalando derzeit 20 Prozent des Markts hat, dann kämpfen 50 traditionelle Modeketten um die restlichen 80 Prozent. In fünf Jahren werden es noch zehn Modehäuser sein. Ich will zu diesen zehn gehören.

Was haben Sie mit den fünf Pilotläden über die Schweizer Kunden gelernt?

Wir können beispielsweise im März in Zürich nicht dasselbe anbieten wie in Rom. Und: In der Schweiz mögen die Männer breitere und bequemere Hosen als in Italien. Dort verkaufen wir zu 70 Prozent eng geschnittene Hosen und 30 Prozent normale. In der Schweiz ist es umgekehrt.

Haben die Italiener einen besseren Modegeschmack?

Nein, aber einen anderen. Ehrlich gesagt, ich finde die Italiener haben einen guten Geschmack. Was Pharma, Banking, Uhren und Schokoladen anbelangt, haben Schweizer die Nase vorne. In Sachen Fashion können sie von Italien lernen.

Seit der Übernahme haben Sie 240 Stellen abgebaut. Werden noch mehr gehen müssen?

Es könnte höchstens noch kleine Anpassungen geben. Wir werden auch Jobs aufbauen. In den Läden brauchen wir mehr Mitarbeiter. Jeder der fünf Pilotläden verkauft zweimal so viele Kleider wie Charles Vögele. Wir brauchen deshalb mehr Personal, das die Kleider aufbereitet, nachfüllt, aufräumt und die Kassen bedient.

Wie viele Jobs schaffen Sie?

Zwischen 150 und 200.

Im Pilotladen in Basel habe ich keine Angestellten gesehen, die älter als 40 sind. Bei Charles Vögele gibt es viele ältere Mitarbeiter. Müssen die gehen?

Sie dürfen bleiben. Wir wollen niemanden entlassen, weil er alt ist.

Was wäre mit der Modekette passiert, wenn Sie nicht gekommen wären?

Charles Vögele wäre bankrott gegangen.

Signore Beraldo, der Retter?

Das bin nicht nur ich alleine. Es sind auch die Banken, die Investoren.

Was machen Sie besser als Vögele?

Vögele hat beispielsweise unter den hohen Logistikkosten gelitten. Sie lieferten die Kleider an der Stange in die Läden. Wir können viel mehr liefern, weil wir die Kleider abgepackt ausfahren. Die Lieferung kostete bei Vögele 1.60 Franken pro Stück, bei uns nur 60 Rappen.

Im Jahr 2000 starteten Sie einen Versuch mit Oviesse, der aber misslang.

Das war nicht ich. Und es war nicht OVS. Das ist heute ein total anderes Unternehmen. Sie spielen Gitarre und Schlagzeug. Wären Sie lieber Rockstar? Wieso? Möchten Sie wissen, wann das nächste Konzert stattfindet?

Beraldo nimmt sein Smartphone hervor, spielt ein Lied ab. Eine Gitarre setzt ein, dann das Keyboard, Drums. Das von ihm komponierte Stück erinnert entfernt an Pink Floyd. Würde er nicht ein Mode-Imperium orchestrieren, er hätte gute Chancen als Musiker gehabt.