Gewerbe an der Bahnhofstrasse fürchtet um seine Existenz

IMG_6001In Schlierens Zentrum soll eine Flaniermeile entstehen. Die Geschäftsbesitzer erachten dies als eine echte Gefahr.

 

 

Limmattaler Zeitung / 31-10-2014 Zum Artikel, Zum Kommentar

Keine Frage: Die Schlieremer Bahnhofstrasse könnte attraktiver sein. Viel Verkehr, ständig besetzte Parkplätze, ein leerstehendes Ladenlokal und wenig Fussgänger. Ein anziehendes Zentrum sähe anders aus. Der GLP-Gemeinderat Nikolaus Wyss möchte deshalb die viel befahrene Strasse aufwerten und in eine autofreie Flaniermeile umwandeln. Dafür lancierte er eine Initiative, die der Stadtrat nun für gültig befunden hat. Innert einem halben Jahr muss das Komitee um Wyss 200 Unterschriften sammeln.

Hilfe dürfen die Initianten zumindest vom Gewerbe an der Bahnhofstrasse nicht erwarten. Im Gegenteil: Fast alle Geschäftsbesitzer befürchten einen Umsatzrückgang, wenn ihre Kunden mit dem Auto keinen direkten Zugang mehr haben. Die Frage, was sie von der Initiative halten, löst bei einigen Gewerblern heftige Reaktionen aus.

Etwa bei Christoph Frei, der seit 17 Jahren an der Bahnhofstrasse das Roller House betreibt. Die Idee einer autofreien Bahnhofstrasse mache ihn wütend: «Es stört mich, dass andere über meinen Kopf hinweg entscheiden können», sagt er. Da Frei nicht in Schlieren wohnt, dürfte er nicht abstimmen, falls die Initiative zustande käme. «Wenn die Strasse autofrei wird, sehe ich schwarz für mein Roller-Geschäft», sagt er und fügt an: «Ich kann einpacken, wenn die Kunden nicht mehr direkt vor das Geschäft fahren dürfen». Er müsse dann umziehen, was allerdings viel koste – zwischen 50000 und 100000 Franken schätzt er. Zudem würde er an einem neuen Standort wieder von null auf beginnen.

Was aber hält er von der Idee des Kantons, wonach die Bahnhofstrasse zu einer Einbahnstrasse zurückgestuft würde? Damit könne er schon eher leben, sagt Frei. Dieser Meinung ist auch Felizia Sisofo, die Besitzerin des Kleiderladens Ladystore. «Die Einbahn wäre in Ordnung», sagt sie. Aber: «Eine autofreie Bahnhofstrasse wäre eine Katastrophe.» Ihre Kunden seien angewiesen, direkt vor dem Laden zu parkieren, kämen doch viele aus dem gesamten Limmattal eigens zu ihr. Falls also die Flaniermeile komme, müsse sie sich überlegen, nach neun Jahren den Standort zu wechseln.

Kein Vorteil für Restaurants

Ob zumindest die Restaurantbesitzer von einer Flaniermeile profitieren würden? Nein, meint Franziska Lanz vom Restaurant Amadeus. Sie geht sogar davon aus, dass sie ihr Restaurant schliessen müsste. Denn viele ihrer Gäste kämen am Mittag mit dem Auto. «Da muss es schnell gehen», sagt sie. Dies sieht Marco Lazri, Besitzer der Pizzeria Corona, ebenso. Die Initiative mache ihm Angst, sagt er. Auch bei ihm kämen gerade am Mittag viele Gäste mit dem Auto. Er rechnet mit einem Umsatzrückgang von 40 Prozent, wenn die Strasse autofrei würde. «Damit könnten wir kaum überleben.» Allerdings sehe er auch ein, dass die derzeitige Situation in der Bahnhofstrasse nicht optimal sei.

Gleichwohl ist Lazri überzeugt: «Eine Fussgängerzone bringt keine positive Veränderung.» Wenn schon, müsse die Strasse um ein Vielfaches attraktiver werden. Doch an diese Möglichkeit glaube er nicht: Der autofreie Abschnitt sei viel zu kurz für eine Flaniermeile. Der Idee kann Lazri zumindest einen positiven Aspekt abgewinnen: und zwar dann, wenn er in Richtung der Bahnhofstrasse eine Terrasse einrichten dürfte.

Es könnte die Strasse aufwerten

Wohl als einziger Geschäftsbesitzer an der Bahnhofstrasse sieht Jürg Scheller, Inhaber der Kaffeerösterei Caffetino, die Initiative nicht als Bedrohung. Scheller glaubt nicht, dass eine Fussgängerzone sein Betrieb schädigen würde. Die Kunden kämen auch zu Fuss, sagt er. Schliesslich könne man seinen Kaffee nur in dem Laden in Schlieren beziehen. Überdies findet er, dass die Flaniermeile eine Aufwertung gäbe: «So wie sich die Bahnhofstrasse derzeit präsentiert, ist auch kein Zustand.» Wichtig sei ihm jedoch, dass die Stadt bei einer Annahme der Initiative, eine vernünftige Lösung für die Geschäftsbesitzer finde.

Entscheidend ist, dass er und auch seine Lieferanten zu- und wegfahren können, wann immer erforderlich. Bestimmt zweimal täglich liefere er an Kunden aus, sagt Scheller. Wenn das nicht gewährleistet sei, habe auch er ein Problem. Mit seiner durchaus wohlwollenden Haltung steht Scheller ziemlich alleine da. Denn auch beim Töffgeschäft, bei der Textilreinigung und beim Kiosk heisst es: Eine autofreie Bahnhofstrasse komme nicht infrage.

Einer der vehementesten Gegner ist jedoch der Detaillistenpräsident und Drogeriebesitzer Philipp Locher. Bereits gegen die Vorlage des Kantons, wonach die Bahnhofstrasse zur Einbahn zurückgestuft würde, hat er Rekurs eingereicht. Ihn störe die Einbahn nicht grundsätzlich, sondern die vorgegebene Fahrrichtung. Weil der Kanton vom Stadtplatzkreisel her Rückstau vermeiden will, soll die Einbahn nur vom Bahnhof aus befahrbar sein.

Das sei die falsche Richtung, sagt Locher. «Für die Geschäfte ist es entscheidend, dass Kunden ihr Ziel schnell erreichen können.» Und dies gehe nur über den direkten Zugang vom Stadtplatz her. Wehren wird sich Locher ebenfalls gegen die Flaniermeile: «Wenn die Initiative zustande kommt, werde ich sie bekämpfen.»

 

Der Kommentar:

Keine Angst vor einer Flaniermeile

Gemäss der Initiative des Schlieremer
GLP-Gemeinderats Nikolaus
Wyss soll die Strasse zwischen
Bahnhof und Stadtplatz
zur Flaniermeile werden. Damit
macht sich Wyss dort keine Freunde.
Obwohl selbst den Geschäftsbesitzern die
Bahnhofstrasse nicht gefällt, wollen sie keine
Veränderung.

Die Gewerbler befürchten, dass Kunden
fernbleiben, wenn diese nicht mehr direkt
vor den Geschäften parkieren dürfen. Diese
Angst ist verständlich. Die Geschäftsbesitzer
verbinden mit der Veränderung Umsatzverluste
und damit existenzielle Probleme.
Es gibt allerdings Argumente, welche
die Ängste unbegründet erscheinen
lassen:

Wenn die Fussgängerzone attraktiv gestaltet
wird, bringt das eine Aufwertung. Wo
sich Pendler und Passanten wohlfühlen,
verweilen sie länger. Und wenn einst die
Limmattalbahn auf dem Stadtplatz halten
sollte, wird es so oder so mehr Passanten
geben. Die Strasse wird belebter. Gemäss
der Zentrumsplanung soll der Verkehr im
Ortskern ohnehin reduziert werden. Allein
deshalb macht es für die Geschäfte Sinn,
sich über kurz oder lang stärker auf Fussgänger
auszurichten. Doch selbst die motorisierten
Kunden finden dann noch genügend
nahe Parkplätze: Vom Bahnhof, Parkside
oder dem Alten Gemeindeplatz dauert
es kaum eine Minute bis zur Bahnhofstrasse
– zu Fuss.

Eine Fussgängerzone wäre ein erster
Schritt zu einem belebteren Zentrum.
Davon profitieren letztlich beide Seiten.
Die Einwohner wie auch die Gewerbler.